Gerichtliche Überprüfung von Eheverträgen und vertragliche Gestaltungsfreiheit
Das deutsche Familienrecht räumt Ehegatten weitreichende Freiheiten bei der vertraglichen Gestaltung ihrer Scheidungsfolgen ein. Die gesetzlichen Regelungen zu nachehelichem Unterhalt, Zugewinnausgleich und Versorgungsausgleich können grundsätzlich durch Vereinbarungen der Ehepartner modifiziert oder sogar vollständig ausgeschlossen werden. Das Gesetz sieht keinen zwingenden Mindeststandard an Scheidungsfolgen vor, der nicht zur Disposition der Ehegatten stünde.
Diese Vertragsfreiheit ist jedoch nicht grenzenlos. Der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen darf nicht durch ehevertragliche Vereinbarungen beliebig umgangen werden. Die Gerichte haben daher die Aufgabe, Eheverträge einer Kontrolle zu unterziehen, um unangemessene Benachteiligungen zu verhindern. Dabei ist entscheidend, ob die getroffenen Vereinbarungen zu einer offensichtlich einseitigen Lastenverteilung führen, die durch die individuellen Lebensumstände der Ehe nicht gerechtfertigt ist.
Bei der Beurteilung der Angemessenheit eines Ehevertrags müssen die Interessen beider Ehepartner berücksichtigt werden. Einerseits ist das Vertrauen des begünstigten Ehegatten in die Gültigkeit der getroffenen Vereinbarungen zu respektieren. Andererseits darf die vertragliche Regelung für den benachteiligten Ehegatten keine unzumutbare Härte darstellen. Maßstab hierfür ist eine verständige Würdigung des Wesens der Ehe als Verantwortungsgemeinschaft.
Die richterliche Kontrolle von Eheverträgen erfolgt in zwei Stufen: Zunächst wird im Rahmen einer Wirksamkeitskontrolle geprüft, ob der Vertrag bereits bei Abschluss sittenwidrig war. In einem zweiten Schritt wird bei der Ausübungskontrolle untersucht, ob sich zum Zeitpunkt der Scheidung eine so gravierende Verschiebung der Verhältnisse ergeben hat, dass das Festhalten an den vertraglichen Regelungen für einen Ehegatten unzumutbar wäre. Durch dieses abgestufte Prüfungsverfahren soll ein angemessener Ausgleich zwischen Vertragsfreiheit und Schutz des schwächeren Ehepartners erreicht werden.
OLG Hamm, Az.: 9 UF 105/22, Beschluss vom 04.09.2024, eingestellt am 01.02.2025