Kindesunterhalt – Bundesverfassungsgericht, stattgebender Kammerbeschluss vom 09.11.2020 – 1 BvR6 97/20

  1. Der Kindesunterhalt darf für den Unterhaltspflichtigen nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung führen. Im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung ist die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet, sofern diese mit Art. 6 Abs. 1 GG im Einklang steht.
     
  2. Um den Kindesunterhalt leisten zu können, sind die Eltern gem. § 1603 BGB verpflichtet, ihre Arbeitskraft einzusetzen. Dass bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit nicht nur auf das tatsächliche Vermögen und das Einkommen des Unterhalspflichtigen abgestellt wird, sondern auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. So kann dem Unterhaltsschuldner auch ein fiktives Einkommen zugerechnet werden, wenn er eine Erwerbstätigkeit unterlässt, die ihm möglich und zumutbar wäre und die er bei gutem Willen ausüben könnte.
     
  3. Es besteht allgemein bei jedem Unterhaltsanspruch die Grundvoraussetzung, dass der Unterhaltspflichtige leistungsfähig ist. Gegenüber minderjährigen Kindern kann auch bei gesteigerter Erwerbsobliegenheitsverpflichtung von einem Unterhaltspflichtigen gem. § 1603 Abs. 2 BGB nichts Unmögliches verlangt werden. Es liegt ein unverhältnismäßiger Eingriff in die wirtschaftliche Handlungsfreiheit vor, wenn Einkünfte für den Verpflichteten objektiv nicht erzielbar wären, zum Beispiel aufgrund des Gesundheitszustandes.
     
  4. Wenn konkrete Umstände von dem Unterhaltspflichtigen vorgetragen und substantiiert wurden, die zu einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit führen können, muss das Gericht eine Zumutbarkeitsprüfung unternehmen und möglicherweise ein fiktives Einkommen ausgehend von den vorgetragenen Umständen realitätsgerecht feststellen und begründen.
     
  5. Die Berechnung aufgrund eines fiktiven Einkommens ist offenzulegen, damit diese überprüft werden kann.

Gabriele Ey, Rechtsprechung kompakt in: Forum Familienrecht 2/2021, Seite 86, eingestellt am 31.03.2021