Zum Unterhaltsanspruch des entführten Kindes innerhalb der europäischen Union
Das Haager Kindschaftsübereinkommen (Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ)) verbietet die widerrechtliche Verbringung von Kindern in andere Vertragsstaaten, so dass, wenn Kinder gegen den Willen eines Elternteils in einen anderen Staat verbracht werden, der Vertragsstaat des Haager Kindschaftsübereinkommens ist, die Kinder in den Ursprungsstaat zurückzubringen sind.

In dem vorliegenden Fall lebten zwei polnische Staatsangehörige seit 2012 in Großbritannien, bekamen dort zwei Kinder, die sowohl die britische als auch die polnische Staatsangehörigkeit hatten und die Mutter verzog gegen den Willen des Vaters 2017 nach Polen. Der Vater ordnete die Rückübertragung der Kinder an, die Mutter machte nach dem Haager Unterhaltsprotokoll (Übereinkommen über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen) Unterhaltsansprüche in Polen für die beiden Kinder geltend. Nach dem Haager Unterhaltsprotokoll richtet sich der Unterhaltsanspruch nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten. Hierfür wurde der Europäische Gerichtshof angerufen zur Feststellung, was der gewöhnliche Aufenthalt nach dem Haager Unterhaltsprotokoll ist. Der Europäische Gerichtshof wies darauf hin, dass das Unterhaltsprotokoll selbst keine Aussagen zum gewöhnlichen Aufenthalt trifft. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wird der gewöhnliche Aufenthalt dadurch geprägt, dass man sich über einen längeren Zeitraum sozial und familiär eingebunden in einem Staat aufhält. Der Europäische Gerichtshof führt weiter aus, dass dies auch der Staat sein kann, in dem das Kind oder die Kinder widerrechtlich verbracht worden sind, auch wenn das Haager Kindschaftsübereinkommen, dem entgegenstehen kann. Aus diesem Grund kann ein Elternteil, selbst wenn er die Kinder widerrechtlich in einen anderen Vertragsstaat innerhalb der Europäischen Union verbracht hat, in diesem Land Unterhaltsansprüche geltend machen. Voraussetzung ist, dass ein gewöhnlicher Aufenthalt der Kinder begründet wurde.
Europäischer Gerichtshof, Az.: C-644/20, Urteil vom 12.05.2022, eingestellt am 30.06.2022